Geschichten

Wunschbeete

 

Ich lief durch den Zauberwald, in dem die Wünsche der Menschen gesammelt werden.

Kleine und große Hügel, mittlere Berge mit Wünschen fand ich dicht an dicht.

Verwundert hielt ich inne, denn da fand ich Namen, bekannte und unbekannte, deren Wünsche vermessen und zum Teil unverschämt waren.

Diese größten Wunschberge sahen aber nicht bunt und fröhlich aus, obwohl auf den vielen kleinen Wunschpflanzen immer wieder Freude, Frohsinn, Glück neben Reichtum, Schönheit geschrieben stand, nein, sie waren düster und welk

Ich stutzte, als ich ein Wunschbeet fand, das so klein war, dass ich es fast übersehen hätte. Eine ganz kleine Wunschpflanze stand darauf, die strahlte in goldenen und purpurnen Farben und das kleine Beet glitzerte, als wäre es mit Diamanten übersät.

Ich beugte mich nieder, um die Schrift entziffern zu können und las

 

Danke für das Glück und die Gnade, von Wünschen träumen zu können.

 

 

FvB

 

 

Die Gefühle

 

Wieder einmal machte sich die Hoffnung auf den langen Weg der Entbehrung, denn sie hatte von einem Schloss in einem großen Land gehört, in dem die bösen Magier Argwohn, Häme, Feigheit und Lüge mit den Hexen Neid, Gier, Verachtung und Bosheit die Träume und die meisten Gefühle der Menschen gefangen hielten und folterten.

Die stummen Schreie der Unterdrückung färbten die Mauern und den Himmel blutrot, um das Schloss herum welkten die Blumen, die Bäume verdorrten und das Wild floh.

Eine düstere Einsamkeit breitete sich aus und legte sich fast wie eine Glocke um dieses Land und Jeder mied die Umgebung, denn die, trotz der Gefangenschaft, immer noch starke Sehnsucht saugte jede Wärme an, die aber in der Bannmeile des Unheils zu blutigen Kristallen gefror und sich so um das Schloss eine unüberwindlich erscheinende Barriere bildete.

Die Hoffnung traf auf ihrem Weg eine ganz kleine, zusammengekrümmte Gestalt und erkannte bestürzt die Liebe, die sich auch gerufen fühlte, doch kaum noch fähig war, ihren Weg fortzusetzen. So umarmte sie diese und nahm die dadurch erstarkte Liebe an die Hand und gemeinsam strebten sie frierend, aber sich gegenseitig immer wieder wärmend, dem düsteren Gemäuer zu.

Je näher sie den Eiskristallen kamen, umso mehr erschauerten sie in der sich ausbreitenden Kälte, doch eng umschlungen gingen sie weiter. Erstaunt blickten sie sich um, als sie Rufe hinter sich hörten.

Der Mut hatte sich erfolgreich gegen die Gefangennahme gewehrt und suchte nun Hilfe, um auch die Anderen befreien zu können.

Da zogen sie nun gemeinsam, Hand in Hand - die Hoffnung, die niemals aufgeben will, die Liebe, sich immer verströmend und der Mut, der nur ein Vorwärts kennt, ihre Stärke miteinander teilend, dadurch diese aber vermehrend - gegen die vermeintlich starken Feinde an.

Die Eiskristalle begannen im Strom der Liebe zu weinen und gaben den Weg frei, die Hoffnung nickte dem Mut zu, der voller Kraft die Tore öffnete und sie erreichten den großen Innenraum, in dem sich die Magier und Hexen ihnen entgegen stellten, sie mit aller Gewalt halten wollten, doch die sich ausbreitende Wärme, die Hoffnung und Liebe verströmten, ließen Argwohn, Häme, Lüge, Neid, Gier und Bosheit erstarren, Mut öffnete alle Türen und Tore und sie stiegen auf aus den Verließen: tanzend die Freude, mit ausgebreiteten Armen die Sehnsucht, umarmt von der Harmonie, dicht gefolgt von den Träumen, ein wenig geduckt noch die Angst, geschoben von der Stärke, dem singenden Glauben, die Melancholie seufzend.

Alle guten Gefühle der Menschen strebten in den großen Saal, der erhellt wurde von dem Strahlen der Gemeinsamkeit und dadurch die dunklen Schatten bannte. Die Fenster öffneten sich und das Licht flutete das Schloss, und das ganze Land. Das Leben kehrte zurück.

 

©Flora von Bistram 2009

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Hilfe

 

Wie lange lief ich schon durch den Regen, mit dem sich meine Tränen mischten? Ich hatte kein Zeitgefühl mehr und auch kein Empfinden. Leere breitete sich in mir aus. Ich war einfach weggerannt, zerfressen von dem Kummer und hatte die, die mir helfen wollten, einfach stehen lassen.

Ich sah plötzlich die Frau, die vor mir ging, genauer. Ging sie eben nicht noch etwas gerader? Und lief sie nun auch langsamer? Ihre Schultern zuckten von Zeit zu Zeit und nach jedem Zucken wirkte sie gebeugter und etwas verkrampfter. Hatte sie nicht eben noch wehendes Haar gehabt? Ich schüttelte den Kopf über mein Unvermögen, mir ein genaues Bild dieser Frau zu machen. Sie kam mir so anders vor, als vorhin…vorhin? Wann sah ich sie zuerst? Ich wusste es nicht einzuordnen. Doch ich war ja auch zu sehr mit meinem Schmerz beschäftigt, der jetzt, beim daran denken wieder massiv auf mich einstürmte.

Ein Schluchzen löste sich und mit meinem Ärmel wischte ich über meine Augen, zuckte aber zusammen, denn ich meinte ein Echo zu hören. Grau und zusammen gesunken schlich nun die Gestalt vor mir her. Ich beschleunigte meine Schritte, doch seltsamerweise blieb die Entfernung gleich. Um mich herum waberte plötzlich ein unerklärlicher Nebel, der nach mir zu greifen schien. Meine Füße wurden schwerer, doch stemmte ich mich gegen den stark aufkommenden Wind.

Der Schatten vor mir wirkte noch gebeugter und ganz deutlich hörte ich lautes Weinen.

„Bitte warten sie, lassen sie sich helfen!“ Meine Stimme wirkte wie ein Hauch und wurde nicht weiter getragen. Es war, als fiele sie mir vor die Füße.

Erneut versuchte ich es: “ Lassen sie uns gemeinsam gehen, das ist sicherer!“

Da drehte sie sich um und ganz deutlich hörte ich die Stimme: “Du bist die, die Hilfe braucht. Nimm die Hand, die dir gereicht wird und du bekommst deine alte Stärke wieder.“

Und sie kam näher und näher und schaute mich an.

Ich sah in ihr freundliches Gesicht und erkannte mich.

In dem Moment erwachte ich.

 

Flora von Bistram 1968

 

 

 

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Geschenkte Sonnenstrahlen

 

Ziellos, traurig und einsam gehe ich durch die Strassen meiner Stadt. Verzweifelt versuche meine Gedanken zu ordnen, doch es gehen mir so viele Dinge durch den Kopf, immer wieder kreisend um den Verlust, um die Traurigkeit, um den Sinn des Lebens. So bemerke ich nicht, dass der Regen ganz sachte nach und nach bis auf meine Haut vordringt. Ich spüre ihn kaum, denn meine Gefühle sind nicht außen, sondern ganz in mich gerichtet. Ich fühle Schmerz und lasse meinen Tränen freien Lauf, kann sie auch gar nicht aufhalten, will es nicht. Und mit der Zeit vermischen sich Tränen und Regen. Der Regen wäscht aus den Tränen das Salz, welches eine Spur legt, mir vorauseilt, einen Weg malt. Ich folge dem Weg; wohin er mich führen wird, frage ich nicht.

Doch nach einer Weile stehe ich dann an einem See, an dem ich oft verweilte, den ich umrundete, seine Schönheit aufnahm im Wechsel der Jahreszeiten. Doch nie sah ich vorher in Nebel gehüllt dieses große Gebäude. Zuerst noch ganz verschwommen, aber immer deutlicher erscheinen die Umrisse einer Burg? Nein, es ist ein Schloss. Und während ich wie gebannt schaue, spüre ich einen Hauch an meiner Seite. Eine strahlende Frau nimmt meine Hand: " Komm, folge mir und habe keine Angst" und furchtlos lasse ich mich führen auf unbekannten Pfaden in Richtung Schloss.   Erschien mir eben noch dieses noch fast mit der Hand berührbar nahe, merke ich nun, dass der Weg beschwerlich ist. Durch Schluchten der Verzweiflung und des Kummers, aber auch über Brücken von Hass und Misstrauen führt er bis zum Tal der Hoffnung und der Zuversicht. Endlich erreichen wir es. Da stehe ich vor ihm in seiner ganzen Pracht, Türme besetzt mit den Farben der Sonne und des Himmels. Fenster so strahlend wie die schönsten Edelsteine auf der Welt. Und Türen so schön und groß, wie ich sie nie gesehen habe. Noch einmal hörte ich die sanfte Stimme: "keine Angst, komm und folge mir"!

Das Tor des Schlosses öffnet sich auf ein leises Händeklatschen. „ Wir betreten jetzt den Saal der Wünsche.“ Wie ein Lied erklingt die sanfte Stimme und von der Decke regnen Millionen Blätter von Rosenblättern herunter. Gerade als ich etwas sagen möchte, berührt mich die zarte Hand: " Sag nichts, schau und nimm das, was Du siehst, in Dein Herz auf, denn nur Du weißt, was Traum und Wirklichkeit ist".

Ich nicke und wir gehen durch die Säle der Hoffnung und Zuneigung, folgen dem hellen Schein, der uns den Weg zeigt. Und ganz in der Ferne höre ich Musik und eine wunderschöne, sphärengleiche Stimme singt ein Lied. Wir erreichen eine wunderschöne, mit goldenen Ornamenten über und über bedeckte große Tür, mit geschnitztem Schriftzug und Rubinen belegt: "Nur der darf eintreten, der begriffen hat, dass man Träume leben muss." Ich nicke: „ Ja, ich kann Träume leben.“ Mit diesem Satz, (habe ich ihn gesprochen oder nur gedacht?), trete ich ein.

„Der Saal der Liebe!“ Ihre Stimme wird noch sanfter, noch lieblicher. In dem Moment, in dem wir den Raum betreten scheint die Sonne durch die hohen Fenster und lässt alles in fast unirdischem Glanz erstrahlen.

Ein Lichtspiel, gleich einem glitzernden Regenbogen bildet sich. „Schau dich um, geh in den Regenbogen, denn jeder, der so träumen kann wie du, hat das Leben verstanden". Die Lichtgestalt greift in den Sonnenbogen, ergreift einige Sonnenstrahlen, haucht mir auf jede Wange einen Kuss, zart wie ein Schmetterlingsflügel in der Berührung, legt mir das Strahlenbündel auf meine Brust. „Nimm die Sonnenstrahlen, bewahre sie gut auf und immer, wenn es Dir nicht gut geht, dann denke daran, dass Du die Sonne in deinem Herzen trägst und dass es hier im Schloss jemanden gibt, der dich liebt.“

Noch einmal berührt sie ganz leicht mein Gesicht, ich schließe meine Augen, denn ein Schauer durchrinnt mich, unbekannt, umhüllend und beruhigend. Ein leises Klingen ertönt und ich öffne benommen meine Augen. Ich reibe sie, schaue mich um und finde mich langsam wieder zurecht. Ich sitze an meinem See und weiß genau, dass ich eine Frau kennen gelernt habe, auf die ich mich ganz bestimmt immer verlassen kann, denn ich trage ja Ihre Sonnenstrahlen im Herzen.

 

Aus meinem Schulheft 1965

 

 

„Beautiful“

 

Ganz still, in sich gekehrt, saß Erika inmitten dem auf-und abschwellenden Gelächter, Geschnatter, Flüstern der sie Umgebenden vor ihrem Teller.

Bedrohlich schwieg dieser sie an, richtete die Erbsenaugen auf sie, ein Möhrenfinger drohte ihr und im Spiegel des Tellerrandes sah sie sich selbst, fett, aufgedunsen, monströs und wusste sofort, sie würde wieder nicht essen können, sie würde wieder sich anhören müssen: „Du bist nicht dick, du wirst sterben, wenn du nicht isst.“ Was wussten die denn schon?

Marion, die ihr immer wieder gehässig ein „fette Kuh“ zuflüsterte und dann grausam schrill lachte, in das ohrenbetäubend ihre Busenfreundinnen einfielen, diese Marion machte ihr das Leben zur Hölle, war sie doch gertenschlank und wunderschön.

Erika bewegte die Hand auf die Gabel zu, weil ihr die besorgten Blicke der Therapeuten, die überall immer auftauchten, dieses suggerierten. Schwer war die Gabel, aus Blei sicherlich. Was die sich doch für Schikanen ausdachten, um ihr das Leben zur Hölle zu machen. Ein winziges Stückchen Kartoffel lag nun in Sichweite, nun direkt vor ihrem Mund … ein Schauer durchfuhr sie, sie bekam keine Luft, sie würde an dem Stückchen sicher ersticken. Ein Hustenanfall schlug ihr die so mühsam hochgehobene Gabel aus der Hand oder war es Marion, die eben in diesem Moment dicht an ihr vorbei gegangen war? Egal, sie wollte auch gar nicht essen, was ihr da auf dem Teller so bräunlich entgegenwaberte, auch wenn es hundert Mal hieß, dass Fleisch ihr neue Kräfte geben würde. Sie war doch stark, sie konnte sich doch dem Essen verweigern, sie würde stand halten, denn sie wollte nicht fett sein.

Da war sie schon, Anke, die Psychologiestudentin, die immer wieder mit Erika redete, über Ängste, über Familie, die sie ab und zu in den Arm nahm, was ihr eklig war, denn Berührungen waren immer eklig und schmerzhaft, ein ganz winziges Erinnern flammte immer mal wieder auf.

Ankes Blick ruhte voller Sorge auf dem zusammen gefallenen, nun in schmerzhaftem Husten sich krümmenden Körper dieses jungen Mädchens, deren Knochen spitz unter mehreren Schichten der Bekleidung hervorstachen, deren leerer Blick aus den in tiefen Höhlen liegenden schwarz umschatteten Augen keine realen Bilder mehr von sich selbst projizieren konnten.

Sie nickte ihrem Kollegen Frank zu, der gleich hinzu eilte, um mit dem kleinen „Püster“ dem jungen Mädchen wenigstens den Hustenanfall zu stoppen und ihr zum Atmen zu verhelfen, als Erika auch schon bewusstlos wurde.

Ein Anruf… der Krankenwagen …

„BMI nicht mal mehr 16, höchste Zeit für eine künstliche Ernährung!“

Und Erika lag auf ihrem Bett, die Augen ins Nirgendwo gerichtet, lächelnd, doch das Lächeln war leer, abgebrochen, nicht wieder aufnehmbar…

…und aus dem Kopfhörer klang leise Beautiful von Christina Aquilera.

 

 

Aus meiner Sammlung

„Begegnungen mit Menschen am Rande“

 

 

 

Irreale Tage

 

 

Ich möchte mich in mich verkriechen und die laute, hektische Welt ausschließen. Unerbittlich schleudert mich der schrill schreiende Wecker aus dem Bett und die eiskalten Füße fassen kaum Tritt. Das Zimmer dreht sich, flieht vor mir...oder ich in und mit ihm... und schleudert mich ins Bad. Blind zeichnet der Spiegel dampfende Konturen, die nach mir zu greifen scheinen. Ich wehre ab, reiße keuchend das Fenster auf. Luft, die erstarren lässt und doch etwas Antrieb gibt.

Anziehen, frühstücken..der Kühlschrank reißt sein zahnloses, leeres Maul auf und will mich einsaugen, um Fülle zu spüren.

Ich muss etwas einkaufen, sie wollen mich heute besuchen...die, die ich nicht sehen will.

 

Der Weg zum Geschäft erscheint mir unendlich lang. Lagen da schon immer die Pflastersteine so unangepasst, ließen ihre Kanten mich schon häufiger stolpern? Ich fühle tief in mir die hämischen Blicke derer, an denen ich versuche, unsichtbar vorbei zu huschen. Gelächter oder ist es nur das Klappern anderer Schuhe? Ich weiß es nicht.

Stakkato der Sonne, denn die rasenden Wolken verhüllen, lassen frei, verhüllen, lassen frei... geblendete Augen zusammengekniffen, Herzschlag dröhnt in den Ohren.

Stimmengewirr, kreischend, sich überschlagend, mir fällt mein Kleingeld prasselnd auf die metallene Umkleidung des Fließbands und verschwindet unter und neben riesigen Füßen,

die bedrohlich näher kommen.

Ich flüchte, noch das dumpfe Dröhnen der ineinanderknallenden Einkaufswagen zwischen meinen Schultern spürend.

Auspuffgase wollen mich ersticken, Motoren heulen meinen Totengesang und doch...

ich erreiche meine Wohnung, schließe gehetzt die Tür, bevor ich an der Wand runterrutsche und mich weinend umschlinge.

 

Flora von Bistram 1972

Aus meiner Sammlung

„Begegnungen mit Menschen am Rande“

 

 

Kreise

 

Die Musik erklang und das Tanzfest war eröffnet. Alle erhoben sich und ergriffen die Hände der Nebenstehenden. Fröhliches Lachen erklang, als Gruppe zu Gruppe fand.

Da drehten sich die Schönen, dort die Klugen, die Begabten, die Strahlenden, die Weichherzigen, die Hilfsbereiten und hier die Fröhlichen, die alle mit ihrem Frohsinn ansteckten. Mitunter mischten sich diese Kreise, denn es gab nicht nur die Einseitigkeit, sondern viele Eigenschaften paarten sich mit anderen. Jeder hatte für sich eine Auffälligkeit, die Andere für ihn einnahm.

So entstanden Tanzgruppen, die sich umeinander, miteinander drehten. Um sie herum war es warm und hell. Doch ganz fern in einer Ecke hatten sich aus den anderen Kreisen einige gelöst und bildeten einen Kreis, der dunkel anmutete. Ein Wabern lag über ihnen in der Luft und es strömte Kälte aus, sodass die Anderen darauf bedacht waren, immer mehr Zwischenraum zwischen ihren und den ganz kleinen Kreis zu bringen.

Zwar versuchten jene im Abseits immer wieder den einen oder anderen Ahnungslosen in ihren Kreis zu ziehen. „Wir sind besser, wir sind klüger, wir sind ohne Fehl und Tadel, wir sind das Non plus Ultra“ - Tuschelnd, zischelnd, falsch lächelnd, mit frömmlerischen Reden, sich selbst immer mehr beweihräuchernd hatten sie auch ab und zu kurzfristig Erfolg, doch so nach und nach vermissten die so Geworbenen die Wärme, die Fröhlichkeit, das Echte und Finger für Finger streckten sie aus, um sich wieder in die großen Kreise einfügen zu können.

So blieb der Anstifterin, dem Neid, der Geltungssucht, der Boshaftigkeit, der Intrige, der Scheinheiligkeit und der Verleumdung absolut nichts anderes übrig, als weiter in ihrer Ecke zu tanzen, sich gegenseitig anzustacheln und Neues zu ersinnen, wie sie die Kreise stören könnten.

 

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann drehen sie sich immer noch umeinander.

 

© Flora von Bistram

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Geben und Nehmen

 

Ganz klein sah ihr Gesicht aus. Wie eine Landkarte gezeichnet ihre immer noch feinen Züge.

Furchen und Runen zeugten von viel Erlebtem, sicher nicht immer nur Gutem, aber ganz feine Fältchen um die Augen und den Mund spiegelten die Fröhlichkeit der langen Lebensjahre, mit der sie immer wieder sich das Licht in graue Tage geholt hatte.. Sie milderten die Schärfe der Linien, die sich von den Wangenknochen bis zum Hals schlängelten.

Die schlanken Hände, bedeckt mit hervortretenden Adern, gepflegt und doch von dem Anpacken erzählend, ein wenig gekrümmt die Finger, die immer noch so weich und wohltuend eine heiße Stirn kühlen konnten, lagen ruhig in ihrem Schoß, übereinander gelegt, ein wenig die Fingerenden verhakt, als müsse sie sich selbst festhalten, nach Jahren der rastlosen Tätigkeiten.

Ab und zu, wenn sie von früher mit leiser Stimme erzählte, blitzen die Augen, schalkhaft zwinkernd und wenn sie lächelte, erstrahlte ihr Gesicht, beleuchtet von innerer Wärme, in einer fast jugendlichen, rosigen Schönheit.

Ihre Zuhörer saßen eng an sie geschmiegt und wer keinen Platz in ihrer unmittelbaren Nähe erhaschen konnte, versuchte, durch Anlehnen an den Nächstsitzenden den Kontakt aufzubauen.

Junge und alte Zuhörer wandten ihre Gesichter der Erzählerin zu. Und wenn man genau hinsah, konnte man feststellen, dass die Augen der meisten fast unruhig hin und her flogen…seltsam in dieser so ruhig anmutenden Runde. Aber ja, durch die tastenden Berührungen, dem oft leicht schräg geneigten Kopf einiger Lauschenden wurde man dann gewahr, dass in vielen Augen das Licht fehlte, dass es sich hier um blinde Menschen handelte.

Blind geboren, durch Erkrankung erblindet, durch Alter oder Unfall.

Alle diese vom Schicksal gerüttelten Menschen hatten auf Grund ihrer Lebensumstände bisher nie gelernt, die Blindenschrift zu lesen.

In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, oft als lästig von den Angehörigen weggesperrt, hatten sie hier im Sankt- Marien- Heim eine neue, liebevolle Aufnahme erfahren und sogen jedes Wort gierig in sich auf, dürstend nach Wissen, Erleben, Gelebtem.

So waren schon das Radio, die Geschichten der CD´s und Cassetten eine ganz neue, atemberaubende Welt für sie.

Doch die Stunden mit „Tante Martha“, wie sie von allen liebevoll genannt wurde, gehörten zu den lehrreichsten, weil innigsten Begegnungen, denn in ihrer so sehr liebevollen, ruhigen Art konnte sie in ihren Erzählungen aus ihrem so langen Leben auch sehr viel Wissen und Lehrreiches weitergeben.

 

Sie schilderte Leben, Gerüche, Bilder so intensiv, dass jeder sich ein eigenes Bild, eine eigene Geschichte im Innern erstehen lassen konnte, so erleben, miterleben konnte, was ihm vorher verwehrt war.

Eine Symbiose, die in unserer gehetzten, nach Geld und Vorteil strebenden Ich- Welt einen ganz besonderen Stellenwert einnahm.

Da die Benachteiligten, in ihren Fähigkeiten noch Eingeschränkten und vorher fast Vereinsamten und dort diese kleine, uralte Frau, allein, weil sie durch Krieg und Krankheit alle Angehörigen verlor, aber durch ihren

starken Willen, Anderen nahe zu sein, Werte zu vermitteln, wie in einer Familie nun ihre letzten Jahre verbringen konnte.

Wir sollten öfter hinschauen, wenn uns das Leben zeigt, wie jedes noch so schwache Glied einer Kette gehalten wird, wenn es nach mehreren Seiten von einem anderen abgesichert wird.

 

 

©floravonbistram 2005

 

 

 

 

 

 

Freitagabend auf der Autobahn

 

Noch eine Dehnung, Streckung der Arme und Beine, Beugung des Rumpfes…aaaah!

Jetzt stehe ich hier endlich auf dem Parkplatz, muss nach fünf Stunden Fahrt (Tank- und Pippipausen klar, die mache ich zwischendurch) einfach ein wenig relaxen. Die Autobahn ist richtig voll, Brummis und PKWs scheren ohne Blinken immer wieder aus, so dass ich zu häufig zu einer Vollbremsung gezwungen bin. Ich muss ein wenig abwarten.

Wieso stürze ich mich auch mitten in der Woche in so ein vorprogrammiertes Chaos…nun, ich habe einfach vergessen, dass andere Bundesländer andere Ferienzeiten haben. Ziemlich voll der Parkplatz, viele streben der Raststätte zu, manche Fahrer liegen in ihren Autos, allein oder mit Begleitung, und dösen oder schlafen

Zum Glück habe ich noch einen Schluck Kaffee in meiner Thermoskanne und - leckere, gestern extra angefertigte Frikadellen duften mir auch noch aus dem Korb entgegen.

Ich schließe mein Auto ab und wandere, in einer Hand meinen Kaffeebecher, in der anderen die mit einer Serviette umwickelte Köstlichkeit, am Rande des Parkplatzes entlang, einem kleinen Weg folgend, der sich zwischen Bäumen zu einem Platz mit Bänken und Tischen windet. Kurz überlege ich, denn es dämmert schon, doch nein, es sieht verlockend ruhig aus und der Lärm der vorbeirasenden Blechlawine verebbt, ich höre Vögel zwitschern und einen leichten Wind in den Zweigen. Kleine plauschige Ecken nehme ich wahr, „schön für Familien, wenn sie hier entspannen wollen“ höre ich mich sagen, während ich genussvoll in meine “Wegzehrung“ beiße….hmmm, einfach nur lecker, die Zwiebelstücke genau auf den Punkt, das Fleisch noch saftig – ich nehme immer Rindermett und statt Paniermehl eine Scheibe Schwarzbrot, Senf, ja Senf ist auch ganz wichtig- „Upps“, im hohen Bogen fliegt die gerade Besprochene durch die Luft, der Kaffee möchte mit, schafft es aber nur mit einem Umweg über meine Bluse, während ich, auch wenn es mir wie Zeitlupe vorkommt, mit Karacho über die Stolperfalle Wurzel Arme wedelnd, Halt suchend, doch natürlich nicht findend, in einen Busch stürze, der sich dann zu meiner Pein als Brombeerbusch entpuppt. Rubus sectio, Rosengewächs, schießt es mir durch den Kopf, Rosen, Dornen, nein Stacheln, Aaauuuaaaa; ich komme natürlich jetzt gar nicht mehr los, habe ich ein Stück Ärmel befreit, will mich drehen, hänge ich, was besonders schmerzhaft ist, noch mit den langen Haaren in den gierigen Greifern, die auch meine Hose nicht loslassen wollen.

„Schei…! Nein, halt, sag es nicht.“ Selbstgespräche sind in solchen Momenten meine Stärke.

„Na los, loslassen, ich hab euch nicht mal ne Beere geklaut, auuutsch, Mist, auch das noch!“

Nun doch fluchend lecke ich schnell über die Blutspur am Arm, süßlich- toller Nachtisch- schießt es mir durch den Kopf…

„Kann ich Ihnen helfen?“ Dunkle Stimme, mein Kopf schießt herum, falsch, will herum, doch noch hängen die Haare fest, aber ich knie wenigstens schon. „Och nee, danke, geht schon...“

Verflixt, wie peinlich ist das denn, nun stottere ich auch noch ein nein, statt zu schreien jaaaa hilf mir!

Doch er lässt sich nicht abwimmeln, kenne ich eh von Männern, wann tun die schon mal das, was wir wollen? Oder ahnt er, was ich will, ja klar, er macht sich an meinen Haaren zu schaffen, sehr vorsichtig - ich schiele auf große Hände und habe riesige Füße genau unter meiner Nase. Donnerwetter, super gepflegte Schuhe, nicht mal ein Fliegenschiss Dreck drauf…was hat er gesagt, ich hab nicht zugehört…

„Kommen Sie, Sie können aufstehen“, dringt jetzt verständlich an meine Ohren. Eine der großen Pranken schiebt sich unter meine Achsel…nein, nicht doch, ich bin doch mittlerweile ganz verschwitzt, wie unangenehm, aber schon stehe ich, zack, meine Nase stößt an eine Brusttasche…wouw, ist der groß.

Mit ein wenig Knirschen lässt sich dann mein Halsgelenk doch soweit verbiegen, dass ich beim gen Himmel schauen endlich ein Gesicht entdecken kann, das mit lustig funkelnden Augen und - klar er lacht- sehr breitem Mund, der strahlende Zähne blitzen lässt mich betrachtet und mir etwas aus dem Gesicht wischt.

„Na, können Sie jetzt alleine stehen?“ „Ja, sicher, `tschuldigung, wollte nicht…!“

Reiß dich doch zusammen!

„Danke für die Hilfe.“ Na endlich, klingt ein wenig heiser und gestelzt, aber immerhin muss ich mir ja noch ein etwas kratziges Blatt aus dem Mundwinkel wischen.

„Ich wollte noch rufen, aber da lagen Sie auch schon. Ich bin auch über diese Wurzel gestolpert, konnte mich aber noch abfangen.“

Klar, mach mich doch nieder, wie ungelenk und plotschig ich bin, möchte ich ihm entgegen schreien, aber nein, ich säusel nur: „Kam wohl ein wenig plötzlich und beide Hände voll.“

„Kommen Sie, ich begleite Sie zum Auto zurück, denn nun wird es mit Macht dunkel.“

Er nimmt meinen Arm und führt mich zurück, ich merke es gar nicht, denn nun fühle ich mich schon besser und auch sicher.

„Ich bin sonst gar nicht so ungeschickt, danke für die Hilfe. So hatte ich mir meine Pause nicht vorgestellt.“ Endlich kann ich wieder normal, ein wenig scherzend reden und wir erreichen die ersten Autos, als plötzlich eine LKW- Tür aufgerissen wird, ein bulliger, rotgesichtiger Mann sich mit den Worten: „Lass die Frau los, du Wüstling!“ auf meinen Begleiter stürzt, und mit einem gezielten Kinnhaken den Retter aus meiner Not zu Boden schlägt.

„Halt, halt, was machen Sie denn?“ Ich kann verhindern, dass er auch noch einen gehobenen Fuß zutreten lässt. „Was soll denn das?“

„Wieso? Was das soll? Schauen Sie Sich mal an, der hat Sie doch übel zugerichtet.“

Während ich ein T-Shirt und eine Wasserflasche aus meinem Auto hole und den ein wenig dusselig am Boden liegenden Helden mit dem Wasser abreibe, erkläre ich die Situation.

 

Nach zehn Minuten sitzen wir zu Dritt in der Raststätte und wissen vor lauter Lachen nicht, wie wir noch vernünftig reden sollen.

Ich habe nach einem Blick in den Spiegel, Toilette war mein erster Weg, erkannt, was der zweite Helfer gedacht haben muss: zerrissene Bluse, Dreck, Blätter, Blutspuren, Überfallopfer, klar!

 

Erst nach Stunden, als ich meiner Freundin von dem Erlebnis erzählte, fiel mir auf, dass wir zwar unsere Namen genannt hatten, aber das war es auch schon. Schade…mein schöner Becher liegt auch noch im Gebüsch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bitte wach auf

 

 

Gleichmäßiges Ein und Aus…tschitt…pfuh…tschitt…pfuh…tschitt…pfuh

Der Brustkorb hebt und senkt sich im Rhythmus der ihn bestimmenden Maschine. Ganz ruhig liegen die dichten Wimpern auf den leicht geröteten Wangen. Entspannt, friedlich wirken das Gesicht, der Körper.

Immer wieder sucht seine Hand die ihre. Sein hoffender Blickt verweilt auf ihren Augen, ihrem Mund. Keine Regung, schon so lange nicht.

„Bitte wach auf, wir warten auf dich, du fehlst uns so sehr.“

Tschitt…pfuh…tschitt…pfuh…tschitt…pfuh…unermüdliches Wirken dieser Maschine durchbricht die Stille nicht mehr, sie ist ein Teil des Raumes, des reglos liegenden Menschen geworden.

Seine Blicke folgen der Zackenkurve auf dem kleinen Monitor. Wie fremd ihm das alles ist und doch mittlerweile wie ein Freund, der einzig und allein ihm zeigen will, dass er niemals die Hoffnung aufgeben soll. Es bewegt sich ja noch etwas.

Die Schwester eilt durch den Raum und bringt einen Hauch Zigarettengeruch aus ihrer kurzen Pause mit.

Sie überprüft alle Geräte, macht sich Notizen, legt einen Tropf an…Ihm wird kalt. Sein Mund ist wie verklebt. Kein Wort kommt über seine Lippen. Wie oft hat er auf einen aufmunternden Blick, ein fröhliches „ nun wird alles gut!“ gewartet. Aber in den letzten drei Monaten werden die Blicke, die Gesten immer seltener. Ja sicher, was sollten sie auch schon Großartiges sagen? Für sie ist das eine Akte, ein Karteiblatt, ein Tropf, eine Magensonde, ein Beatmungsgerät.....

Nur seine leisen Gespräche mit diesem geliebten Menschen bleiben ihm. Die Freunde, wo waren sie? „Nein, nun werde ich ungerecht, sie sind immer da, wenn ich sie rufe, sie schauen nach ihr, wenn ich zur Arbeit fahre, sie rufen an und versuchen, mich dem Alltag hier zu entreißen, aber ich lasse es nicht zu, ich will so oft wie möglich bei dir sein, dir zusehen, wenn du erwachst.“

Sein Blick geht nach draußen. Die Sonne scheint in das Fenster und sein Frösteln von eben ist vergessen. Sacht legt er ihre Hand auf die Bettdecke und steht auf.

„Schau Liebes, ich öffne nun für dich das Fenster. Wie sehr hast du immer den Frühling mit all den Gerüchen und Stimmen geliebt.“

Er schaut nach draußen. Hier im Erdgeschoss geht der Blick durch den Park. Ein geschäftiges Treiben und muntere Gesänge in den Bäumen und Büschen zeigen an, dass die Paarsuche beginnt.

Er geht zurück zum Bett, setzt sich müde auf den harten Stuhl und nimmt die kühle Hand wieder wärmend in seine.

Da, aus dem ganzen Stimmengewirr heraus hebt sich eine Stimme, gewaltig, mächtig, jubilierend…der winzige und doch so stimmgewaltige Zaunkönig, direkt vor dem Fenster in dem Busch muss er sitzen.

Unermüdlich schmettert er seine Partitur, sein Werben, sein Frohlocken…

Da, er meint ein Zucken in seiner Hand zu spüren, sein Blick umfasst die Frau vor ihm, ihm stockt der Atem… „Du bist wach, ich fühle es, mach die Augen auf, Liebling, ich bitte dich“

Und dann, ein winziges Flattern der Wimpern, ein kaum wahrnehmbares Verändern der Lippen…mühsam, als wolle sie lächeln. Fast fragend neigt sich nun der Kopf, als lausche sie dem herrlichen, erweckenden Gesang…

 

©floravonbistram

 

 Aus meiner Sammlung

Begegnungen mit Menschen am Rande

 

 

 

 

 

 

Mein ist die Rache…

 

Sie überlegte, hatte sie wirklich an Alles gedacht? Die Liste war vernichtet, nun konnte sie nur noch darauf vertrauen, dass sie über 15 Jahre lang sich das Geschehen immer wieder im Sekundenabgleich ins Gedächtnis gerufen hatte, wenn nun ein Fehler passierte, lag es an äußeren Umständen, nicht an ihrer Planung, dann würde sie halt den schwarzen Peter ziehen.

Vor 2 Stunden hatte sie sich nach einer Vierstundenfahrt mit dem Zug von einem Taxi nach Werburg fahren lassen, war zu Fuß durch den Wald von dort, mit dem Rucksack auf dem Rücken, nach Senkenberg gewandert.

Fröhlich lachte sie in sich hinein, denn ihr Spiegelbild schob sich vor ihre Augen. Die aschblonde Perücke mit dem Zottellook wurde von einem bunten Kopftuch fest am Kopf gehalten, die alte 70er Jahre - Brille mit den Fenstergläsern hatte sie vor 7 Jahren auf einem Flohmarkt in Hamburg gekauft, die Kleidung stammte aus Second-Hand-Läden aus ganz Deutschland. Einen ihrer Schneidezähne konnte sie, dank ihrer vor Jahren ausgeübten Maskenbildnertätigkeit so präparieren, dass er etwas schief und abgebrochen wirkte, ein Schälchen Erdbeeren hatte einen großflächigen Ausschlag am Körper und im Gesicht der Allergikerin erblühen lassen, so wirkte der Taxifahrer ein wenig angewidert, als sie mit breitem Grinsen, lispelnd ihre Zieladresse nannte.

Nun saß sie hier, den Blick auf das kleine Dorf gerichtet, aus dem aus vielen Gärten kleine Rauchschwaden auftauchten, Grillsaison, es wurde gefeiert, gegessen, getrunken bis tief in die Nacht hinein.

Genau so hatte sie es lange, lange geplant, in all den Jahren, in denen der innere Schmerz nicht weichen wollte, in all den Jahren, in denen sie nur auf diesen Tag X fixiert war, in all den Jahren, in denen sie ihr Umfeld, ihre Selbstständigkeit, ihr Leben ganz neu gestaltet, in denen sie wie ein Einsiedler gelebt, in immer anderen Geschäften eingekauft und ohne Bindungen verbracht hatte und so den Menschen der Umgebung unbekannt blieb, ein Sonderling eben, eine kleine, zierliche, weißhaarige Gestalt, die mal auftauchte und dann wieder tagelang nicht gesehen wurde.

Der Tag ging über in die Nacht, die Feuer waren erloschen, die weit verstreut stehenden Häuser mit den großen Grundstücken verdunkelten sich und die Geräusche der Nacht tönten durch die Ebene.

Sie ging zurück in den Wald, musste mit strammem Schritt durch das Unterholz marschieren, bis sie an einem kleinen eingezäunten, überwucherten Grundstück mit einer zerfallenen, zum Teil abgebrannten Ruine ankam, ein Stückchen Land, dass schon in der Kindheit als ihr Zuhause mit den Großeltern bewohnte.

Unter einer Platte, die sie geschickt anheben konnte, verbarg sich ein großer Plastikbeutel, den sie schon vor Jahren hier deponiert hatte. Daraus zog sie nun die alten, 3 Nummern zu großen Schuhe, in deren Sohle sie vorne ein paar kleine Bleigewichte eingearbeitet hatte und eine Pistole mit Schalldämpfer, die sie genau untersuchte, aus der sie mit einem leisen Plopp einen Schuss in den Waldboden abfeuerte..............

 

1998

 

Weiter geht es in meinem Buch

Halt die Zeit an

 

 

 

Sommer 1944

 

„Leise, leise! Wir können einen Wagen hören, er kommt in unsere Richtung.“

Käthe schob den Korb mit den zwei Wasserkannen und einem Brot durch die kleine Falltür vom Stall, die nach unten in das alte Vorratslager führte, „Später oder heute Nacht lasse ich euch wieder einzeln ins Haus, dann könnt ihr euch waschen!“ verschloss die Luke wieder, verteilte auf dem Boden Stroh und lauschte auf ihr hart pochendes Herz.

Was würde ihnen allen passieren, wenn es heraus käme, dass sie 12 Menschen hier versteckte.

Doch nach Allem, was sie über Riga-Kaiserwald gehört hatten, konnten sie nicht anders. Das Lager war erst im vergangenen Jahr richtig eingerichtet worden, die Gefangenen arbeiteten zwangsweise für deutsche Großfirmen in der Produktion ihrer Elektrogeräte, viele Gefangene waren aber schon hingerichtet worden.

Da waren Jakob und Hannah mit ihren halbwüchsigen Kindern Georg-Wilhelm, Hans-Wolfram und Liese-Lotte. Sie war mit Hannah zur Schule gegangen, nie hatte es Unfrieden gegeben, Lilo war ihr Patenkind. Hannah und die Kinder waren getauft, doch jüdischer Herkunft.

Als sie bei Nacht und Nebel mit wenigen Habseligkeiten bei ihr auf dem kleinen, abgelegenen Hof in Cerkste standen, konnte sie sie doch nicht wegschicken.

Vor drei Tagen standen dann plötzlich 7 Menschen vor ihr, die aus verschiedenen Richtungen aus dem sicheren Wald gekommen waren. 3 Frauen und vier Männer waren einem Konvoi entkommen.

„Sie schaffen alle aus dem Lager weg, erschießen die ganz Jungen und die Alten, wir konnten aus dem LKW entkommen, als ein Reifen platzte. Sie haben auf uns geschossen und sicher viele getroffen.“

Ihr Mann Karl war offiziell als Fischer unterwegs, brachte aber tatsächlich mit seinem Freund

flüchtige Juden nachts nach Engure, wo ein Fischkutter diese Menschen aufnahm, um sie über mehrfaches Umladen an der Küste Lettlands entlang bis nach Ventspils, von dort nach Gotland, dann bis Vaxholm zu bringen, von wo aus sie Stockholm erreichen konnten.

Da mittlerweile alle Seewege massiv vermint waren, wurde es fast unmöglich, weitere Flüchtlinge, die von Polen her immer noch ins Land strömten, in Sicherheit zu bringen.....

 

 

weiterlesen in meinem Buch

>Halt die Zeit an<

Flora von Bistram 1994

 

 

 

 

 

Karl als Kind mit Eltern vor dem Hof
Karl als Kind mit Eltern vor dem Hof

 

 

Buchausschnitt aus “Eiszeit“

 

Es war einmal, in einer sternenklaren Winternacht, als der Frost die Welt umfangen hielt, den Atem am Mund gefrieren ließ, ein Paar unterwegs, müde und frierend durch den knirschenden Schnee stapfend.

Sorgsam führte der alte Mann die blutjunge Frau, sie war fast noch ein Kind, an der Hand, und man erkannte - auch durch mehrere Lagen Pullover, Jacken, Mantel - den gewölbten Leib der Frau, den sie mit einer Hand immer wieder wie schützend hielt.

„Stütz dich auf mich, wir haben es nicht mehr weit.“

Wieder schob er seinen Arm unter ihrem durch, um Halt zu geben, falls sie strauchelte.

Sie blieb stehen, ein krampfhaft unterdrücktes Stöhnen entrang sich ihren fest aufeinander gepressten Lippen, kleine Schweißperlen glänzten auf Stirn und Oberlippe, um sich dann mit den tanzenden Flocken, die ihr Gesicht umspielten, zu vermischen.

„Nur noch ein kleines Stück, komm, ich trage dich, gleich sind wir an dem Stall.“

Kaum dass er sich selbst noch auf den Füßen halten konnte, umfasste er dennoch die nun zusammensinkende Frau, hob sie hoch und bahnte sich mit dem letzten Rest seiner Energie und einem flehenden: “Herr, steh uns bei!“ den Weg zu dem nun schemenhaft im zunehmenden Flockenwirbel auftauchenden windschiefen Gebäude, das er mit seiner immer schwerer werdenden Last schließlich keuchend erreichte.

Quietschend öffnete sich das alte Tor, nachdem er den eisernen Riegel

mit aller Kraft zur Seite geschlagen hatte und sie nahmen,

bevor sie ins warme Heu sanken, nur noch wahr, dass auch Tiere in dem Stall schliefen.

Wärme und Geborgenheit umhüllte sie, wie sie da nun eingegraben im Heu auf die Geburt ihres Kindes, seines Urenkels warteten und in der Ferne, sich immer weiter entfernend, hörten sie das Donnern der Panzer und Kanonen und die alles zerstörenden, berstenden Treffer.

Als im dämmernden Morgen der erste Schrei des Neugeborenen erklang, konnten sie eine Glocke läuten hören.

Still reichten sie sich die Hände, Großvater und Enkeltochter auf der Flucht, das Kind, die Frucht einer Vergewaltigung, zwischen ihnen, nun sorgsam in eine Jacke gewickelt und ihre Blicke hoben sich zum Himmel, ein Dankgebet im Herzen.

 

Gesegnete Weihnachten!

 

Geht weiter…siehe Buch Eiszeit

 

 

Es war nur ein Jahr

 

Susi wirbelte ins kleine Zimmer der Freundin.

„Mensch Hanna, du liegst ja schon wieder auf dem Bett. Was ist los? Wollten wir nicht raus?“

„Heute kann ich nicht, habe rundum Dienst und bin jetzt schon erledigt.“

„Susi, lass uns am Wochenende zum Tanzen nach Singen fahren, dort ist viel mehr los“.

„Aber sicher, ich habe am Sonnabend ab fünfzehn Uhr Feierabend und Sonntag frei. Hanna, ich hole dich ab.“

So fuhr sie mit der unternehmungslustigen Hanna in die größere Stadt, die mit dem Zug gut zu erreichen war. Ziel­sicher marschierten sie durch die belebten Straßen. Susi, für das Jahr 1968 schon sehr aufreizend gekleidet, in einem superkurzen grün-beige gemusterten Strickkleid, passender grüner Strickstrumpfhose und ei­nem farblich wieder genau abgestimmten Blazer, alles Kleidung aus der letzten Kollektion, für die sie Werbefotos gemacht hatte und die die Mädchen dann billiger kaufen konnten, sowie farblich abgestimmte halbhohe Pumps zeigten eine modemutige, junge Frau, die ihre hellen Haare jetzt nur noch schulter­lang und ganz glatt geföhnt trug, mit einem leichten Schwung der unteren Haarspitzen nach außen. Die dunklen Wimpern hatten noch Nachhilfe durch etwas Wimperntu­sche bekommen und der Mund wurde durch einen rose far­benen Lippenstift betont, der die gebräunte Haut noch samtiger erscheinen ließ.

Hanna dagegen trug eine Hose und eine Bluse, etwas grob­schlächtig wirkend durch ihre Fülle, aber ihre dunklen Au­gen, umrandet von schwarzen langen Wimpern leuchteten und gaben dem Gesicht Leben.

Lange Tische, kleine verträumte Ecken, eine riesige Tanz­fläche, wo jetzt schon so viele Paare tanzten…schimmernde Kugeln, die ihr farbig wechselndes Licht durch den Raum zucken ließen und dann ein Discjockey, etwas ganz Neues

Susi und Hanna steuerten auf den nächsten Tisch zu, der noch freie Plätze anzeigte. Vier junge Männer und zwei Mädchen saßen dort schon und lachten und sangen mit- Down town …

„Moin, ihr beiden, wo kommt ihr denn her?“ Susi hob er­staunt den Kopf. So sehr hatte sie sich an die Dialekte im Schwarzwald, in der Schweiz und nun am Bodensee ge­wöhnt, dass ihr der absolut hochdeutsche Satz völlig fremd erschien.

„Na, du kommst aber ganz aus dem Norden“, konterte sie gleich und betrachtete das sehr männliche, kantige Gesicht ihres Gegenübers. Groß war er schon im Sitzen, mittel­blonde kurze Haare und Augen, die leuchteten, als er sie ansah. „Komm, Lütte, lass uns tanzen“, und schon sprang er auf, drängte an den Freunden vorbei und griff nach Susis Hand.

„Phantastisch, jemanden heute zu treffen, der auch noch richtig sprechen kann. Wir brauchen sonst immer einen Dolmet­scher, wenn wir hier Mädchen kennen lernen.“

„Was macht ihr denn hier, kommen die anderen auch von weiter weg?“

„Wir studieren in Radolfzell an der Betriebswirtschafts­akademie, ich bin aus der Kasseler Gegend, einer aus Göttingen, einer aus Köln … und du?“ Susi musste lachen.

„Ach du meine Güte, dann kenne ich einen Dozenten von euch, ich arbeite bei ihm, bin die Erzieherin seiner Kinder. Meine Familie lebt in der Gegend von Hannover.“

„Na, das ist ja mal ein wahnsinnig schöner Zufall“, er zog sie an sich, denn „The House Of The Rising Sun“ erklang, angekündigt von dem jungen Mann am Mikrophon.

Susi schaute auf, ja, er überragte sie um einen ganzen Kopf und so, wie er sie hielt, meinte sie, keine Luft zu bekom­men, und sicher war die Wärme des Raumes daran schuld, dass ihr die Hitze ins Gesicht stieg, ihr Herz heftiger schlug, als gewohnt … ach nein, das kam sicher vom Tan­zen und der Freude, mal wieder richtig hochdeutsch zu hö­ren oder … sie wurde unsicher, denn er hielt sie so dicht an sich gepresst, bewegte sich mit ihr raumgreifend und dann wieder nur an der Stelle bewegend, ihre Leichtigkeit auskostend, mit der sie sich führen ließ, immer wieder auf die gesenkten Wimpern blickend, auch ihm wurde warm. Dann wieder ein Blick von ihr nach oben, eingefangen von seinem, sie beobachtenden …

„Ich heiße Susi und du?“

„Godehard, altmodischer Name, ich weiß“.

„Ach, ich werde dich Langer nennen, denn gegen mich bist du das, zumal du mich eben Lütte genannt hast“, durchbrach sie den Zauber, der sich breit machen wollte, holte auch ihn auf den Boden zurück.

Jäh schrak sie hoch, denn „Hang On Sloopy“ lief jetzt, der Lange hatte sie losgelassen und der Beat forderte nun die „Einzelkür“, gelöst voneinander, dennoch den gleichen Rhythmus spürend, wobei immer wieder die Blicke, die Hände sich trafen, dann „Only The Lonely“ und ganz be­sonders innig „Aber dich gibt’s nur einmal für mich“ und so wieder durch die Nähe, jede Berührung einen Schauer auslösend, Wechselspiel der Melodien, der Rhythmen, hier heiß und verlangend, dann schnell, aufputschend, gleich darauf wieder schmusig, werbend, haltend, um beide dann in den Taumel der Schnelligkeit, in die aufsteigende Hitze, die hastige Atmung zu versetzen, dass sie erst die Tanzflä­che tief atmend, mit fliegenden Pulsen verließen, als der Discjockey zur Pause läutete.

Die Musik wurde wieder lauter, fordernder, ließ den ande­ren jungen Männern keine Chance auf einen Tanz mit Susi, so sehr sie auch protestierten, denn der junge Mann, dreiundzwanzig Jahre alt, wie Susi inzwischen erfahren hatte, zog sie schon wieder auf die Tanzfläche, hielt sie in den Armen und sie ließen sich mitreißen von den Klängen, der Bewegung und als „Tell Laura I Love Her“ erklang, hob er mit seiner Hand ihr Gesicht zu sich und seine Lip­pen legten sich ganz weich auf die ihren. Getragen von dem Lied durchfuhr Susi ein heißer Blitz, den sie nie zuvor gespürt hatte, ihre eben noch festen Lippen wurden weich, lösten sich, öffneten sich, als seine Zungenspitze diese be­rührten, umrundeten, erforschend an den Innenseiten wei­terwanderten und dann in ihren nun auch leicht geöffneten Mund eindrang, sich bewegend, begrüßend, auffordernd, zum ewigen Spiel der Geschlechter, zum Schluss des Krei­ses von ICH und DU zum WIR, Flammen entfachend, die beide heftiger atmen, alles um sie herum vergessen ließen, nur noch den anderen fühlend, schmeckend, in ihn eintau­chend. Susi versank ganz in ihrem Gefühl und ihren Träumen, fühlte sich getragen, weggerissen in einem Strudel, der sie trotz aller Gewaltigkeit sie warm und mild einhüllte.

 

„Träumst du?“ Seine tiefe Stimme riss sie in die Wirklich­keit zurück, obwohl sie immer noch nicht das Gefühl hatte, in einer Diskothek zu sein. Ein weiches Lächeln lag auf ih­rem Gesicht. Mein Gott, wie jung und unschuldig sie aus­sieht, schoss es ihm durch den Kopf und im gleichen Mo­ment zog er sie wieder an sich, überwältigt von den eige­nen Gefühlen. Wie eine Feder lag sie in seinem Arm, den Kopf an seiner Schulter, jeden seiner Muskeln fühlte sie, atmete sein Rasierwasser, seinen Deodorant, seinen eigenen Körpergeruch ein, fühlte die Wärme, die beide Körper miteinander verband …

Beide waren so versunken, dass sie nicht merkten, wie so nach und nach die Tanzfläche sich leerte, die Freunde sich verabschiedeten und dann auch die Musik leiser wurde und dann endete, die Stimme von Henry, wie er sich am Plat­tenspieler nannte, sie in die Wirklichkeit zurück holte.

„Hallo, ihr Turteltauben, Schluss für heute, geht nach Hause.“

Verwirrt, verlegen wischte sich Susi die etwas feuchten Haare aus der Stirn. „Na, komm, Lütte, dann wollen wir mal los, die anderen haben uns ja schon verlassen.“

Hand in Hand schlenderten sie durch die Nacht zum Park­platz, immer wieder stehen bleibend, sich haltend, Mün­der, sich suchend und findend …

„So, mein Kleines, da sind wir.“ Tief atmend hielt er den Wagen vor dem großen Wohnblock an. „ Ich hoffe, wir sehen uns morgen?“

„Ja“, Susis Stimme kam leise und fast schüchtern, „wenn du willst gerne, denn morgen, das heißt heute“, lachte sie plötzlich, mit einem Blick auf ihre Armbanduhr „heute habe ich noch frei, muss erst am Montag wieder arbeiten.“

„Gut, ich hole dich um zehn Uhr ab, bist du dann schon wach?“

„Aber ja, ich komme mit wenig Schlaf aus. Ich freue mich.“

Mit einem „Ich mich auch, sehr“, schloss er sie noch ein­mal in die Arme, um sie ganz sanft zum Abschied zu küs­sen, vorsichtig fast, um nicht wieder Emotionen hoch­kommen zu lassen, „Schlaf schön und träum von mir.“

„Das habe ich doch schon ewige Jahre!“

„Wie meinst du das?“

Sie lachte: „Genau wie ich es sagte.“

Fast mühsam lösten sie sich voneinander, Susi sprang aus dem VWCabrio, dann stand sie auch schon an ihrer Haustür und winkte dem in der Dunkelheit ver­schwindenden Auto nach.

Sie konnte nicht schlafen. Leise verließ sie wieder die Wohnung, um auf den am Ende des Flurs liegenden Dach­garten zu gehen. Ein klarer Sternenhimmel zeigte sich ihr, zunehmender Mond verbreitete ein sanftes Licht, ein Windstoß ließ sie erschauern.

Schon richtig herbstlich die Gerüche, nahm sie wahr und wiegte sich auf der Erde sitzend, mit den Armen sich selbst umschlingend, summend stieg ein Lied in ihr auf „Danke, für diesen guten Morgen, danke, für diesen schö­nen Tag, danke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag …“

 

Bewegte Zeiten, Treffen nach der Arbeit und immer wieder diese innigen Momente, Minuten, Stunden … sie sahen sich nur an, Blicke verschmolzen und die Hände fanden zueinander, sich haltend, fest aneinandergepresst oder nur so locker mitten im Spaziergang.

Der Herbst verging viel zu schnell. Susi hatte vier freie Tage, da in Zürich Aufnahmen für einen Sommerkatalog gemacht werden sollten. Die Trennung fiel ihr unsagbar schwer, aber auch Godehard konnte sich kaum von ihr lösen.

Winkend, wie sie ihn bei der Abfahrt in Erinnerung be­hielt, so stand er auch bei ihrer Ankunft wieder da, um sie abzuholen.

„Mein Gott, Lütte, hast du mir gefehlt, ich habe es fast nicht ertragen.“ Über und über bedeckte er ihr Gesicht mit Küssen, seine Hände umfingen ihre schlanke Taille, glitten den Rücken rauf und runter, Erregung ergriff beide, doch dann sahen sie sich an, lachten und Susi meinte nur, „Ich war doch nur vier Tage weg“, „Ja, und vier lange Nächte.“ Seine Stimme war nicht ganz fest, wie Susi erstaunt be­merkte und sie in einen Glückstaumel fallen ließ. Wie schön es doch war, zu einem geliebten Menschen heim zu kommen.

Ihr kleiner Koffer war schnell im Auto verstaut.

„Du kommst mit zu mir? Ich habe etwas zu essen vorbe­reitet. Hans ist bei Maria und meiner Zimmerwirtin habe ich gesagt, ich bringe Kommilitonen zum Lernen mit. Dann können wir uns noch einen gemütlichen Abend ma­chen.“

Susi kannte das kleine Zimmer in der WG, einer Zwei­zimmerwohnung, die Godehard mit Hans teilte, noch nicht. Es war nirgends erlaubt, Andersgeschlechtliche mitzu­bringen.

Susi staunte, der Lange hatte tatsächlich einen irischen Eintopf gezaubert, mit zwei Kerzen den kleinen Tisch ge­schmückt, eine Rose lag an ihrem Teller und Weißwein schenkte er ein. Sie saßen auf seinem Bett, das Essen war kalt geworden, stumm hatten sie sich nur angesehen, ganz von selbst näherten sich ihr Gesichter, die Lippen fanden sich, heiß, erregend das Spiel der Zungen, aneinander ge­wöhnt, vertraut und doch immer wieder neu erforschend, dabei wanderten die Hände über die Körper, im Gleichtakt zogen sie sich die Pullover über die Köpfe, sofort wieder zum Kuss zusammenfindend, suchende Hände, streichel­ten, sanft, sanft auch die Küsse, dann immer fordernder, verlangend. Zurückgesunken auf das schmale Bett streifte er nun ganz langsam ihre Hose herunter und sie beant­wortete das auf gleiche Art, ohne Scheu, ohne Aber, ganz auf die Stimme im Innern hörend, die immer wieder rief, ich gehöre nur noch ihm

Seine Lippen glitten von ihrem Mund über den Hals, sanft nahm die Zunge den Geschmack der Haut auf, die glühte und pochte, seine Hände streichelten die Beine außen, auf und ab, mal den Po umkreisend, dann wieder über Bauch und Brüste gleitend, seine Zunge, seine Lippen umkosten die harten Brustwarzen, ganz sanft schob sich nun eine Hand zwischen ihre Schenkel, die sie ihm willig öffnete, ganz gefangen von der Sanftheit, den Flammen, die seine Küsse, seine Berührungen auslösten, sie spürte sein hartes Glied an ihrem Oberschenkel, hob sich ihm entgegen, sie hielten sich umschlungen als er ganz leicht und sanft ein­drang über den feuchten Weg des Verlangens, sehnsüchtig von ihr empfangen und aufgenommen, im gleichen Rhythmus sich bewegend, beider Atemzüge wurden lauter, heftiger, mühsamer … Susi flog auf Engelsflügeln direkt in den Himmel, wurde von einer Wolke zur anderen getra­gen, eine Woge der brodelnden See und des lodernden Feuers vereinigten sich und warfen sie mit einem nicht en­den wollenden Schwung höher und höher, schneller und schneller, bis ihr heller Schrei auch ihn auf den Höhepunkt zu trieb und beide, immer noch eins im Fühlen und Sein, eng umschlungen, in der Bewegung des anderen mit­schwingend, langsam wieder zu ruhigerem Atem fanden, sich gegenseitig die feuchten Gesichter abwischten und dann völlig versunken, fast noch ineinander verknotet still lagen. Gleichmäßige Atemzüge, Hände, die nicht aufhören konnten zu streicheln, Münder die sich wieder fanden, das Spiel der Zungen wieder aufnahmen und Körper, die nicht genug von einander bekommen konnten.

Die Kerzen waren lange schon herunter gebrannt und die kleinen Dochte im letzten heißen Wachs ertrunken, das Essen stand kalt auf dem Tisch, der Wein fast unberührt in den Gläsern und irgendwann zeugten gleichmäßige Atem­züge davon, dass die angenehme Müdigkeit nach dem so genannten kleinen Tod nun in tiefen Schlaf übergeglitten war. Im Schlaf löste sich nur einmal kurz die innige Um­armung, als der Mann nach der Decke griff und sie über sich und die junge Frau zog.

 

      

 

Unendliche Mengen Schnee brachte dieser Winter. Immer wieder starteten die jungen Leute an den freien Tagen ins nahe Österreich, um dort Ski zu laufen. Österreich, Schweiz, herrliche, ausgelassene Schussfahrten, Schnee­ballschlachten, die Fahrten mit den Schleppliften, ach al­les, was sie erlebte, ließ Susi das Gefühl von wahr gewor­denem Märchen empfinden und nicht mehr träumend ge­noss sie jeden Tag, jede Stunde, jede Minute dankbar.

Wie schnell die Zeit voranschritt. Susi machte ihren Segel­schein, denn die Studenten hatten viele Klausuren zu schreiben, und Susi traf sich mit Godehard nicht so häufig, weil er lernen musste. Aber auch dies ging einmal vorbei, es wurde gefeiert, denn alle hatten die Zwischenprüfungen bestan­den. Schon im April wurde es so warm, dass die ersten Mutigen im Bodensee badeten.

Aus dem herrlichen Früh­ling ging es nahtlos in einen heißen Sommer über, den sie mit Schwimmen und Bootsfahrten genossen.

Godehard und Susi saßen Sonntagabend in der kleinen Eisdiele, tranken einen Eiskaffee.

Doch was war mit ihm los. Warum war er so gedankenverloren, schaute sie an und wieder weg, setzte zum Sprechen an und sagte dann doch nichts?

„Was ist los mit dir, du bist so anders als sonst, sag mir doch, wenn dich etwas bedrückt“, Susi sah ihn fragend an, doch er wich ihrem Blick aus.

„Lütte, ich muss dir etwas sagen und du wirst mich dafür hassen.“

„Aber Blödsinn, was soll das denn sein, sag schon…“ Er nahm ihre Hand. „Süßes, du weißt, dass ich dich sehr lieb habe, aber ich war nicht ehrlich mit dir und muss das end­lich loswerden.“

Susis Hände, die er hielt, fühlten sich plötzlich eiskalt an. Als griffe eine eiskalte Hand an ihr Herz, presste es zu­sammen, fühlte sie sich gerade in dem Moment … Ker­zengerade wurde ihr Rücken.

„Weißt du, als ich hier runter kam, war ich schon verlobt, ich habe einer Frau die Ehe versprochen, ihre Eltern finan­zieren mein Studium und ich kann nicht zurück, wir wol­len im Spätsommer heiraten. Ich war in Kiel, um die Vor­bereitungen mit ihr zu treffen, das Aufgebot ist bestellt.“ Aufatmend lehnte er sich zurück. Er fühlte sich hundsmi­serabel, war aber froh, dass es nun heraus war. Er sah ihre aufgerissenen Augen, den süßen Mund halbgeöffnet, kein Wort kam von ihr, sie war starr, sie konnte es nicht glau­ben. Wach auf, du Dumme, du träumst mal wieder einen schlechten Traum, versuchte sie sich wieder zu sammeln, aufzuwachen, zu sehen, wie er sie auslachte, wenn sie ihm von diesem Traum erzählte, doch nichts änderte sich, er saß weiter da, seine langen schmalen Finger streichelten ihren Handrücken, sein Blick suchte den ihren, bittend, flehend …

„Danke, dass du es mir sagst“, er traute seinen Ohren nicht, ganz ruhig, ja fast gelassen kam dieser kurze Satz. Wie froh war er, dass keine Szene gemacht wurde, dass sie so friedlich war.

„Das ändert nichts an unserer Beziehung denke ich, du verlierst mich ja dadurch nicht.“

Sie lächelte, trank ihren Eiskaffe aus, befreite ihre Hände aus seiner Umklammerung, stand nach einem Blick auf die Uhr auf, „Ich muss gehen, meine Mittagspause ist vorbei, ich muss arbeiten.“ Sie beugte sich vor, küsste ihn auf die Wange, legte eine Mark auf den Tisch und verließ lächelnd die Eisdiele, bevor er über­haupt schalten konnte. Als er bezahlt hatte und raus kam, war sie schon verschwunden und er fluchte laut, dass er nicht mit dem Auto gefahren war, denn dann hätte er sie schnell wieder eingeholt.

Susi verschwand sofort in einer Gasse und lief auf Umwe­gen zu ihrer Arbeitsstelle. Am Bahnhof kaufte sie einige Zeitungen, von denen sie gehört hatte, dass hier der größte Anzeigenteil deutschlandweit zu er­warten sei.

In ihrem Zimmer angekommen, nahm sie Blatt und Stift und schrieb sauber und ordentlich ihre Kündigung, faltete das Blatt zusammen und legte es auf den Esstisch. Nun legte sie sich auf das Bett, breitete die Zeitungen aus und begann die Stellenanzeigen zu studieren und unter vielen Angeboten stach ihr eine ins Auge, Köln, ja, das war weit genug entfernt, und Köln war schon deshalb ein Haupttreffer, weil ihr geliebter Bruder Ralf dort wenige Kilometer weiter in Porz lebte, er hatte inzwischen gehei­ratet und Ria erwartete ein Baby.

Sofort suchte sie ihre Papiere zusammen. Noch hatte sie einige beglaubigte Kopien, konnte also gleich ihr Bewer­bungsschreiben fertig machen. Noch in der Nacht lief sie zur Post, wo sie aufatmend den Brief einwarf. Ihr Blick war seltsam starr, der Mund zu einem leisen Lächeln verzogen, sie fühlte sich kalt, doch kein weiterer Gedanke blieb im Kopf hängen, sie wirkte wie ein Roboter, fühlte nichts, handelte nur und auch am folgenden Tag nahm sie pflichtbe­wusst wie gewohnt die Kinder in Empfang. Sie stand dem Ehepaar Rede und Antwort, gab als Kündigungsgrund das verhasste Durchgangszimmer, die stets fehlende Mittagszeit, die Arbeitszeit von oft 12 Stunden und das dafür zu geringe Gehalt an.

Susi packte. Zwei Koffer hatte sie schon zum Bahnhof ge­bracht, sie hatte sich ein Taxi geleistet. Keiner wusste davon, doch sie musste den Schlussstrich ziehen, denn er hielt fest, er wollte alles … die Geliebte, die Frau, die sein Eheverspre­chen hatte, und dadurch die Möglichkeit, in Ruhe sein Studium zu Ende zu bringen, ohne Geldnot, ohne nebenher arbeiten zu müssen, wie viele seiner Kommilitonen.

Heute würde sie es ihm sagen, denn morgen ging die Fahrt nach Köln.

Der Abend war schlimm. Godehard und die Freunde beg­riffen gar nicht, dass Susi sich so plötzlich verabschiedete und alles verheimlicht hatte.

Starr vor Schmerz, den sie sich aber nicht anmerken ließ, ja, die Fröhliche, Begeisterte in Formvollendung spielend, umarmte sie alle, lehnte ein Mitkommen in Godehards Wohnung ab, küsste ihn kurz, als er sie vor der Haustür absetzte, verschwand mit einem kurzen Winken im Haus. Schwer atmend lehnte sie sich an die Wand, nun konnte sie die Theateraufführung beenden und schluchzend brach der ganze Trennungsschmerz über ihr zusammen.

Als der schrille Pfiff des Schaffners dem Zugführer das Zeichen zur Abfahrt gab, gellte er in Susis Ohren noch lange nach … Ihr Blick wanderte über die vorbeihuschenden Dörfer und Städte, die von der eben erst über den Horizont stei­genden Sonne in goldenes Licht getaucht wurden, golde­nes Erwachen, ja, das war anders als das bittere Erwachen, das Susi durchlebte, aber wieder einmal setzte der Optimismus sich durch und sie sah in der Zukunft eine Chance, eine Chance auch für ein neues Glück?

 

 Ausschnitt aus dem Buch Lebensscherben

floravonbistram

 

            

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HILDESHEIMER LITERATUR-WETTBEWERB

Ich freue mich sehr, dass aus tausenden Einsendungen europaweit mein Gedicht von den anderen Autoren zu einem der fünf Preisträger gevotet wurde, es war ein reines Autorenvoting, das für mich ein großes Lob bedeutet. Danke

 

 

 

Nichts zu bereuen,

das ist das Wesentliche.

Denn sonst würde man das

Gewesene degradieren.

FvB

Ich danke allen Lesern, die für mich abgestimmt haben, für den silbernen Award. 

die schönsten Gedichte - www.gedichte-oase.de

 Gedichte von Flora von Bistram dürfen nach einer Erlaubnis von mir für nicht gewerbliche Zwecke auf anderen Internetseiten wiedergegeben werden, sofern im unmittelbaren Zusammenhang Angaben zum Copyright erfolgen und ein direkter HTML-Link auf http://nachtfluege.de gesetzt wird. Diese Erlaubnis kann im Einzelfall ohne Angabe von Gründen jederzeit widerrufen werden.

Kariologisches

http://kariologiker.wordpress.com/

 

Wenn Ihr Klartext und Satire mögt

 

 

Danke an

alle Leser

 

 

"Nicht was du

zusammenfegst,

sondern was du

verstreust,

erzählt, wie du dein

Leben gelebt hast"

 

 

 

 

Auch wenn die Sonne

mir mal nicht scheint,

freue ich mich,

denn sie könnte

jeden Augenblick

die grauen Wolken

durchbrechen.

 

Das Leben
schenkt nicht nur Rosen, 
es stehen auch überall
die Disteln bereit.
Doch wenn wir
genau hinschauen,
entdecken wir auch
ihre Schönheit.
Flora von Bistram

 

Ich wurde schon lachend geboren

ein zahnloses Freuen, von Ohr zu Ohr,

ich habe es auch nicht verloren,

das Lächeln herrscht heute noch vor.

 

Egal, was passierte zu jeglicher Zeit,

ein Lächeln, ich schwör's Euch,

von Sorgen befreit

 

FvB

 

 

Tritt ein für deines
Herzens Meinung
und fürchte nicht
der Feinde Spott,
bekämpfe mutig
die Verneinung,
so du den Glauben
hast an Gott.

Theodor Fontane

 

 

 

 

Nur ein Hinweis:

viele meiner Fotos

in den Texten

lassen sich

durch Anklicken

vergrößern

 

 

 

 

 

 

 

 

Nur da bist du

mit den richtigen

Menschen zusammen,

bei denen du sein kannst,

wie du bist,

wie du fühlst

und wo du fühlst,

dass diese Menschen sind

wie sie sind

und wie sie fühlen

 

 

2006

 

 

 

Wer es verstehen kann, der verstehe es.
Wer aber nicht, der lasse es ungelästert
und ungetadelt.
Dem habe ich nichts geschrieben.
Ich habe für mich geschrieben.

Jakob Böhme

 

Wenn ich tot bin,

darfst du gar nicht trauern

Meine Liebe

wird mich überdauern

und in fremden Kleidern

dir begegnen

und Dich segnen.

 

Ringelnatz

Wünsche sind

wie Blicke durch

das goldene Tor

in den Himmel.

Den Weg zur

Erfüllung müssen

wir selber gehen.

 

FvB

 

             Zeit

 

Zeit der Liebe,

Zeit des Lebens,

Zeit des Nehmens,

Zeit des Gebens

Zeit der Freude,

Zeit des Leidens

Zeit der Tränen,

Zeit des Scheidens

Zeit des Küssens,

Zeit des Kosens

Zeit der Stürme,

Zeit des Tosens

Zeit der Hoffnung,

Zeit des Schmerzes

Zeit des Glaubens,

Zeit des Herzens

 

   Zeit bleibt Zeit

 

   

 

COPYRIGHT

 

Es ist verboten, ohne meine Einwilligung
meine Texte zu kopieren,
Screenshots anzulegen,
abzuschreiben, weiterzugeben.
Wer gegen meinen Willen handelt,
verstößt gegen das Urheberrecht.
Geschichten, Gedichte, Bilder,
satirische Texte sind mein Eigentum. 

 

Wie eine Feder

 

eben noch schwebend

im Himmel

der explodierenden

Gefühle

und jetzt,

am Boden,

noch nicht zerstört

ein wenig

sonnenbeschienen-

meine Hoffnung

kleine Feder

 

2004

 

 

 

 

 

 

 

Deine Hände,

deine Augen,

deine Stimme,

dein Mund,

dein Körper,

ganz und gar

DU

 


1979

 

"Denke lieber an das,

was du hast,

als an das,

was dir fehlt!

Suche von den Dingen,

die du hast,

die besten aus

und bedenke dann,

wie eifrig du

nach ihnen gesucht

haben würdest,

wenn du sie nicht hättest"


Marc Aurel


 

Als taktlos

wird meistens

derjenige bezeichnet,

der das ausspricht,

was alle

anderen denken.