Kinder
Sind so kleine Hände,
winz’ge Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen,
die zerbrechen dann.
Sind so kleine Füße
mit so kleinen Zeh’n.
Darf man nie drauf treten,
könn’ sie sonst nicht geh’n.
Sind so kleine Ohren,
scharf und ihr erlaubt.
darf man nie zerbrüllen,
werden davon taub.
Sind so schöne Münder,
sprechen alles aus.
Darf man nie verbieten,
kommt sonst nichts mehr raus.
Sind so klare Augen,
die noch alles seh’n.
Darf man nie verbinden,
könn’n sie nichts versteh’n
Sind so kleine Seelen,
offen und ganz frei,
darf man niemals quälen,
geh’n kaputt dabei.
Ist so’n kleines Rückgrat,
sieht man fast noch nicht.
Darf man niemals beugen,
weil es sonst zerbricht.
Grade, klare Menschen
wär’n ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat
hab’n wir schon zuviel.
*****
Dieses Lied von Bettina Wegner berührte mich,
seit ich es das erste Mal hörte
und machte mir meine eigene Kindheit
immer wieder schmerzhaft bewusst.
Die Erlaubnis von Bettina, ihr Lied hier ganz einzusetzen,
liegt schriftlich vor.
Viele Jahre schon versuche ich, die Arbeit einer Organisation für Missbrauchsopfern zu unterstützen.
Es ist so wenig, was ich selber tun kann, doch als Betroffene kann ich die Ängste, die Handlungen der Opfer nachempfinden, ich kann zuhören, aber auch einfach nur mit ihnen schweigen, sie festhalten und mit ihnen weinen, aber auch mit ihnen lachen, ihnen Mut machen, sie unterstützen.
Du wurdest missbraucht!
Nimm meine Hände
ich halte dich fest
leite dich,
damit du nicht strauchelst.
Ich kenne die Hölle
der Gedanken,
durch die du jetzt gehst,
ich lebte in ihr
viele lange Jahre.
Doch immer leitete mich
ein helles Licht,
dass ich im Herzen trug,
das mir den Weg
zu mir selbst und
in die Welt des Lebens
wies und erleuchtete.
Ich bin an deiner Seite,
wenn die Angst
dir den Schlaf rauben will,
gebe dir ein wenig
von meiner Hoffnung,
möchte das Licht
für dich entfachen.
Sprich über die Wunden,
die dir geschlagen wurden,
lass den Schmerz zu,
vergrab dich nicht
und lass es nicht zu,
dass er dich zerstört,
zerfrisst, mutlos macht,
das Leben nimmt.
Nimm meine Hände
lass dich halten.
Es ist so wenig,
ich weiß!
FvB 2002
Selbstachtung
Wenn wieder der Schmerz
deiner gepeinigten Seele,
deines geschundenen Körpers
Türme besteigt,
von denen herab
er brüllend den Weg
zu den verschlossenen Ohren
der lärmend Wegschauenden
zu finden sucht,
wenn du dich befreien willst
von den Knebeln
der Schweigsamkeit ,
die dir eingeprügelt wurden,
deine Schändung und Entwertung,
dir keine Nähe erlauben,
die Zerrissenheit der Gefühle
dich in den Abgrund der Verdammnis
in Nichtachtung deines Ichs
verbannen will,
dann lass es nicht zu,
sprich dich selber frei
und glaube nicht,
entfliehen zu können,
besiegen wirst du das Leid nur,
wenn du deine Kraft zeigst.
Umwinde dein Kreuz
mit Blumen der Liebe
für dich selbst,
schrei ihnen ins Gesicht:
„Ich habe keine Schuld,
ich bin stark,
denn ich habe es überlebt!“
FvB 2003
* * * * *
Ich hörte ein Kindlein weinen
Ich hörte ein Kindlein weinen
ganz still in sich hinein,
ein Flüstern sprach von Leben
voll Leiden, voller Pein.
Ich hörte ein Kindlein weinen,
für sich nur ganz allein,
das Schluchzen voller Beben -
ich lauscht` in mich hinein.
Ich hörte ein Kindlein weinen,
dies Kind ist noch so klein,
nur zartes Engelschweben
kann meine Seele befrei`n
1961
Ich bin erst vier
Deine großen Hände
greifen nach mir.
Du weißt, es ist verboten.
Dein Mund sucht den meinen,
streift die kindlich warme,
weiche Haut,
den kleinen, festen ,
geschlossenen Mund.
Tastet sich
über den ganzen Körper.
Deine Hände streicheln, halten,
fühlen und suchen
in verborgenen Räumen
an meinem nackten Leib...
Was tust du,
was empfindest du?
Wenn du so stöhnst,
bekomme ich Angst.
Wenn du mich an dich presst,
fehlt mir die Luft zum Atmen.
Und doch -
ich halte still.
Ich denke
du gibst mir Liebe,
statt Prügel.
Was weiß ich schon?
ICH BIN ERST VIER!
Nachtgedanken
Und da sind sie wieder, unverhofft und altbekannt.
Die eingebrannten Zweifel an mir selbst.
Ihr habt sie mir eingeprügelt!
Nein, nicht Selbstfindung und leichtes Wachsen,
sondern Unterordnung und kritikloses Handeln-
auf befehlende Anordnung sofort reagierend-
Angstvolles Aufsehen,
mit abwehrbereiter Hand
Kopf und Gesicht schützend
bestimmte den Tag und die Nacht.
Handeln, nicht aus Erkenntnis,
sondern auf ein Augenwinkelzucken hin.
Um Anerkenntnis bettelnd
sinnlose Befehle
blitzschnell in die Tat umsetzend!
Ihr beherrschtet uns!
Nicht Liebe bestimmte Erziehung,
sondern eure Vorstellungen von Perfektion.
Eure Gedanken an Nachbarn und eure Ruhe.
Deine Selbstfindung...
Frau, die du Mutter genannt wurdest.
Und wo blieben unsere Wünsche, unsere Träume-
heimlich geträumt mit zerrissenem Herzen,
mit blutroten Striemen auf Rücken und Beinen.
Und doch
Jetzt leben wir unser Leben,
viel gelernt-
Liebe verströmend an die Unsrigen..
Aus tiefstem Herzen unser Sein
mit dem unserer Nachkommen verknüpfend.
Wir leben
Wir lieben
Und IHR?
Freiheit
Ihr hieltet mich gefangen
durch meine mich lähmende Furcht,
die ihr schürtet mit Wort und Tat.
Gewalt ließ meine Seele
Verstecke suchen, jenseits vom Jetzt.
Ich tauche auf, bin euch entronnen,
fliegend befreit aus eurem Bann.
Ohne Furcht finde ich in den Lüften
meine Bahn, die Freiheit heißt
Gefühle ohne Furcht, befreite Seele.
1983
Ich habe es begriffen
Ich war ein Kind, mit meinen eigenen Bedürfnissen.
Ich schrie, wenn ich hungrig war, ich schrie, war ich nass
und alle eilten herbei, um meine Wünsche zu erfüllen.
Ich versuchte, zu robben, um einen anderen Weg zu finden,
ich krabbelte und erhob mich auf meine Füße, gehalten,
immer noch gelobt für alles, was ich tat, für alles,
was ich für mich selbst entdeckt hatte und ausprobierte.
Wann gab ich diese meine freie Suche, mein Versuchen auf,
wann begann ich, mich nicht mehr frei zu äußern?
Ihr lehrtet mich, dass ich nicht lebe, um mir zu gefallen,
sondern um alles zu tun, den Anderen zu gefallen,
nach deren Wünschen zu leben, mich zu äußern -
ihr drücktet mir euren Stempel auf, richtetet mich ab
mit teilweise schlimmster Gewalt, roh Eigenwille vernichtend.
Zeigtet ihr mir jemals MEIN Ziel? Nein, nur euer Ziel zählte,
eure Vorstellungen. Waren es eure unerfüllten Träume,
die ihr mir vorhalten, in mich einprügeln wolltet,
um mich meine Träume und Wünsche
vergessen zu lassen?
Ich lernte zu lächeln, zu nicken,
meinen Weg still zu gehen,
meine Pflichten zu erfüllen,
sicher dann und wann auch freudig,
wenn ich sie selbst still für mich gewählt
und ausgesucht hatte.
Ihr wolltet mich für EUER Leben
zu EUREM braven Mädchen machen.
Ihr habt es nicht geschafft!
Auch wenn es lange Jahre dauerte, viele Wege erforderte,
zu erkennen, was mir passierte, wie tief der Abgrund war,
über dem ich nur noch an einem seidenen Faden hing.
Ich bin wieder zum Kind geworden und ich habe geweint,
habe geschrien, habe den Schmerz noch und noch gespürt.
Doch war es nicht der Nachhall der Schläge,
der harten Worte,
nein, es war die Pein des Erkennens um den Verlust der Zeit,
um den Verlust des eigentlichen Ichs,
den Verlust des Kindes in mir.
So bin ich auf der Erde herumgerutscht, bin gekrabbelt,
um meine Wege und Ziele endlich wieder zu finden,
um mich aufzurichten;
habe Dinge angefasst, um sie zu begreifen,
um sie endlich ohne Angst an mich nehmen zu können,
um nie wieder die Suche aufzugeben,
die allein mich führen kann.
Ich habe es endlich begriffen,
dass ich immer dann schreien kann,
wenn mich danach verlangt und schweigen, wann ich mag;
dass ich singen muss,
wenn die Töne sich auf meine Lippen drängen
und der Wunsch danach mir übermächtig
die Brust sprengen will,
dass ich reden kann, wie meine Gedanken fließen,
die Worte sich bilden,
dass ich mich nie wieder
von einem Menschen hemmen lasse,
nie wieder mich verbiegen werde,
um Andersdenkenden zu gefallen.
Ganz groß möchte ich es an die Wände schreiben,
ICH HABE BEGRIFFEN,
DASS ICH ICH BIN
UND
DIESES ICH MIT FREUDE LEBE.